Er wurde ihre große Liebe, damals, als sie schon lange im Alleinsein eingerichtet war.
Wie ein Blitz hatte er sie getroffen, dieser bewundernde Blick des Welt erfahrenen älteren Herrn, der an diesem Abend lässig über die Avancen wesentlich jüngerer Schönheiten hinweg sah.
Sie hatte er ausgewählt, wie sehr ihr das schmeichelte.
Verführerisch unbemerkt verwischte er nun von Tag zu Tag mehr ihre Gedanken, bis sie anfing, seine Wünsche und Erwartungen zu erahnen und sie zu ihren eigenen zu machen.
In ihrem früheren Leben hätte sie niemals Pelz getragen. Das Fell toter Tiere schreckte sie einst ab wie kalte Augen.
Jetzt aber durfte er sie einhüllen, ihr damit Wärme vermitteln, die sie so dringend brauchte.
Mit den Streichelfellen wich wie von selbst alles aus ihr, was jemals zum Widerspruch gereizt hätte. Sie wurde glatt, anschmiegsam, auf eine leblose Art sanft. Sogar ihre Bewegungen waren seltsam verzögert, verhuscht, schlafwandlerisch.
Bis zu dem Morgen, als der Zirkus auf dem Festplatz gastierte.
Im Vorbeifahren erkannte sie die müden Augen eines Tigers im Käfig und sie schaute wie in einen Spiegel, ein einzig entscheidender Blickwechsel.
Das ganze Elend der Kreatur erschreckte sie zu Tode. Ihre Haut brannte. Mit einem energischen Ruck warf sie den Pelzmantel ab.
So schnell sie konnte, fuhr sie nach Hause, getrieben, gehetzt, packte wenige Sachen wild in eine Reisetasche und flüchtete aus seinem Leben.
Als er die Ansichtskarte "Frühstück im Pelz" erhielt – ohne Text und Absender -, wusste er: sie hatte ihn endgültig verlassen.
Ursula Kerber