Zwei Sprachen - zwo Spròòchen

Meine erste Sprache war Mundart Moselfränkisch Rodener Platt, die Grundlage meiner Sozialisation. Mit der Einschulung kam als "erste Fremdsprache" Hochdeutsch hinzu, bald ebenso vertraut und geliebt.
Ich weiß um das Glück, in zwei Sprachen - zwo Spròòchen dahämm - zuhause zu sein, gleichwertig.



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Drabbles vom Staunen / séch wónnern

Et géfft Leit und nét ze weenéch, déi wo bei allem sofott e fescht Määning hann; fänkt dei Red nur aan un déi doun hóttéch métschwätzen, daléiwscht gleich aach allään et Geschbräch hallen.

Mei Opa hott dòmòòls gäär gesaat: "dò móss mer Baukleetz staunen." Imm woaren so Dapper-Braddeler vaan énneraus aaréch zewidder. Dòdafor haddet gehääsch, er wär stéll un rouhich.

Woarer awwer nét.

Dé kunnschde fó alles fròòn un dann hadder séch sei Gedanken gemach. Er hott so vill gewósst, gelehrt, erlewt. Mét seiner Antwott woar garandéijert eppes aan ze fänken.

Hautsedaachs gétt villes dapperdapper, aach bei mir.

Verwónnerléch.


Vor Johren hann eich é Géiséngen e Preddécht geheert iwwert Schweinzen.

Schweinzen: wann Kénner ém Spill mét Wasser un Sand ihr Gléck fénnen dirfen.

Schweinzen: mét Essen, mét Geld, mét Iwwerfluss, mét Macht, óf Koschden vaan Annern, vaan der ääne Welt, wo us träät. Gewéss neischt Naues, verwónnerléch heekschdens, dat all Preddijen neischt ännern.

Schweinzen: mét der Zeit. Dò woar eich verschróck, wat sóll dann dat hääschen? Mer schafft un dout, wéi't sich geheert, hat sei Amussemer ze Recht.

Schweinzen? Em Herrgott de Zeit klauen? Nää, eich doch nét!

Nur ännt wónnert méch: et éss mer émmer noch so nòkscht.


Wolken tragen wissenschaftliche Namen.
Das weiß sie noch nicht, auf Mamas Arm am Fenster. Schäfchen sieht sie, große und kleine, im Himmelblau.

Später steht sie auf einem Stuhl und schaut in den Himmel. Da segeln und jagen Tiere vorbei, kleine putzige und große gefährliche mit Riesenbäuchen und mächtigen Mäulern, Schiffe, Häuser, Bäume, Zahlen, Buchstaben, aufregend neue Bilder.

Wolkenlesen, wenn sie nachdenken muss, traurig ist, sich langweilt und an frohen, glücklichen Tagen noch viel mehr. Überall, in allen Wettern.

Wolken tragen Geschichten in die Farben des Himmels hinein, Weltreisende in Phantasie. Wir sollten uns jetzt ein Wölkchen zupfen. Danke,

Joachim Ringelnatz!

Ursula Kerber

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Apriltour Haibun

Bahnsteig I, Linie 421; man sollte sich sputen, das Zeitfenster ist klein für den vollen Genuss.
Die Obstbäume blühen verschwenderisch, die Weißdornhecken, die Schlehdornbüsche, ein paar Tage nur.
Andernorts werden Blütenfeste gefeiert mit Besuchern von weither.
Hier kündet allenfalls ein Schild am Dorfeingang: "Anschwenken am Sportplatz" für das kommende Wochenende.
Am sonnigen Nachmittag fährt Bus 421 ohne Hast von Hügel zu Hügel in den blauen Horizont zu den weißen Blütenwolken und den Dörfern in Frühlingslaune. Vier Fahrgäste mit Dauerkarte auf dem Heimweg nach Schule und Beruf, zwei Rentner von Ort zu Ort, wechseln ein paar Worte mit dem Busfahrer, vertraut, ein kurzer Wink für alle Bekannten an der Wegstrecke, ein herzlicher Gruß für uns an der Endhaltestelle.

User Gau éss der Märchinboddem, de Béihn fó eijen Geschichter, vaan Mònd zou Mònd uralt un émmer nau wohr.

En de weit gréin Stéckern blétzen de erscht geel Pinkelcher; der Rouf fó de nòkscht Rääs.

aus kläänschden Käären
génn Määter óm Määter Geel
der Raps bléiht ball



Ursula Kerber

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Flanieren

Der ältere Herr, der das Haus "In der Lohwies" geerbt hatte, soll früher bei einer großen Zeitung beschäftigt gewesen sein. Einige behaupteten, er habe lange im Ausland gelebt, andere vermuteten, er käme direkt aus Berlin. Wenn er das Haus verließ, informierte er seine Haushälterin; gelegentlich sagte er, er flaniere ein bisschen.

Flanéiern, dat kunnt nur en Dootsénn sénn, so wéi dat Wort lò dòmòòls geschbauzt woart ess.
"Em Herrgott de Daach klauen" hann se hernò gegrómmelt, "je`m Vurrel äänzeln én de Ärsch louen".
Schääsen gehn fó ze louen fó eppes se fénnen, wat mer breicht odder brauche kinnt, dat kammer verschdehn; dò zillt mer dróf.

Awwer wat fó e Sénn un Wäärt sólldet hann, eppes louen ze gehn nur fó't ze gesinn? Dò misst mer séch jò bleed vorkómmen: lò róm ze tròòndeln; hallen ze bleiwen; weider ze schlenkern ohné Richdong; séch óm de eijen Achs drähn; én Zeitlup nò owen un unnen gieksen, schrääks un hénnerrecks louen. Un wann et Stehnbleiwen noch nét lankt, séch aach noch hinhucken fó de Auebléck. Wat sóll mer da schonn grooß gesinn bei eppes, wat mer sei Lewdaach kennen dout odder dò, wo neischt loss éss? De Langweil aushallen? fó wat?

Ich flaniere durch meine Stadt, entdecke bekannte und mir bisher verborgene Orte und Dinge; schenke ihnen und mir ungeteilte Aufmerksamkeit; vergleiche Gestern und Heute mit all meinen Erfahrungen vor Ort und anderswo neu.


Et kéihl Wasser, wo aam Määrtbrónnen iwwerlääft, schlawwert der klää Héndchin, sei Madam lotzt aam Eis. Kléck, en Auenfótto ohné Apprat. Der Fahndel wóckelt nur noch aan ääm Rénk. Weiler sénn de Scharanjer én vóller Bléit.
Wanné hat de Apdéckt et Schaufénschder ómgemoodelt?
Der Paraplé ém Pabeierkorw hott ach schó besser Daa. Ään Eck weider en annerer Film, Freilóftkinno.
Louen fó eppes ze gesinn fó ze kennen ze wéssen un gemälléch ónnerweechs fó irjenswo aazekómmen.

Alles gut und schön; aber die Zeit, die Zeit fehlt und die Ruhe.

Der Daach hat véiernzwanzéch Stónnen.


Ursula Kerber

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Es war einmal

Mit den Worten "es war einmal" fangen viele Märchen an. Märchenhaft scheinen oftmals auch die Erinnerungen aus Kinder- und Jugendtagen. Vor allem, wenn man das Schöne herausputzt und die andere Seite - vorübergehend - ausklammert. Dieser Teilrealität kann man durchaus Rechnung tragen.

Et hat Zeiden génn,

wo mer mét de klää Mäddcher un Béiwcher deck Liddcher gesóng hat. Äänt davaan woar:
"ri, ra, rutsch, mer fahren mét der Kutsch, mer fahren mét der Schneckeposcht ..."

wo jederääner wóscht, wéi e Boopert ausgesitt, e Kautzkopp, en Atzel un e Déschdelfénk. Un wo déi frech Bouwen de Mäddchern Kletten nògeschméss hann, derléiwscht én de lank Hoar.

wo mer de Sópp kalt gess hat, weiler mer dererscht de Bouchdawen fänken un aam Tellerrand Werter lään móscht.

wo mer gléckléch un stólz mét der Póppentaas mét Onnertellerchin aagénn kunnt, allerfeinschden Stäängutt mét Bléimcher aus der Fabrék é Saargeménd.

wo de Summern Ewéchkätten lank woaren; óf, eh der Deiwel de Schouh aan hott, geschafft, geschbillt, gelewt, gelacht béss én de Naat.

wo der Zauwerer Alfredo Spirelli én de School kómm woar mét sei Kónschtschdéckelcher; mét bónt Déichern, wo verschwónn sénn un aanenanner gekneppelt nét ófheeren wóllten beim Rauszéihn un et Kaneinchin ausem Zélénner, wo én us grooß Auen un óffen Meilcher néißen móscht.

Wat woaren dann dat fó Zeiden?

wo mer némmeh zréckdrähn kinnt, falls mer't iwwerhaupt maanen méchden gääw.

Das Märchen ist aus, hier läuft eine Maus.


Ursula Kerber

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